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Die großen ungelÖsten FÄlle

Text von Bettina Carl von 2007,erschienen im Katalog „Förderkohle“, 2007 und im Katalog "second", ©Bettina Carl, 2007

Ina Bierstedt untersucht die poetischen Möglichkeiten einer Malerei, die vom Gegenstand weitgehend befreit ist. Ihre Bilder sind Landschaften, die nicht auf realen oder gemalten Außenräumen beruhen, sondern aus dem Medium selbst entwickelt werden. Um aus zahlreichen Farbschichten, aus offenen Flächen und figürlichen Elementen ihre hochkomplexen Bildräume zu konstruieren, reizt die Künstlerin die Grenzen der Malerei aus: Ina Bierstedt legt Strukturen und Flächen in wuchernden Feldern an, sie verarbeitet Öl- und Acrylfarben miteinander, überlässt diese feindlichen Materialien ihren chemischen Reaktionen, sie schüttet und verwischt die Farben oder verpinselt sie zu detailverliebt realen" Binnenbildchen.

Ina Bierstedts Bilder sind Inszenierungen. Geschichten werden nicht erzählt, dafür werden Handlungen vollzogen, Konflikte angezettelt, ausgeweitet und eine Waffenruhe wird allenfalls provisorisch gehalten. Die Stille ist immer eine Pause vor oder nach der Katastrophe, denn man weiß, es wird gleich wieder losgehen: Gleich wird die Ebene, die das Auge sich als Boden gesucht hat, in einen Strudel gesogen, so wie das akkurate Bäumchen jeden Moment von einem unbarmherzigen Gebirge geknickt und aus dem Bild geworfen werden kann. Ina Bierstedts Landschaften fehlt die Schwerkraft, sie sind nicht betretbar: Ihre Form bleibt ungewiss, erwächst aus losen Teilen, in deren gegenwärtiger Verdichtung immer spürbar bleibt, dass alles wieder auseinandertreiben, alles verschwinden kann.

Man könnte meinen, aus derartigen Ingredienzen ließen sich nur dröhnend pathetische Aufführungen brauen; Haben wir uns also verlaufen, stecken wir hier mit der Künstlerin fest in schwerem deutschen Romantikgelände? Ina Bierstedt arbeitet tatsächlich in einer romantischen Tradition, allerdings in einer, die zu ihren aberwitzigen Erfindungen eine ausgeprägt ironische Distanz zu wahren vermag. Diesen Abstand erreicht Ina Bierstedt durch den genau kalkulierten Einsatz ihrer bildnerischen Mittel. So greift sie auf Methoden des Informel zurück, ohne dabei je eine Retrostimmung zu erzeugen. Denn in ihrem Bildraum nutzt die Künstlerin das Gestische und die stoffliche Ausdruckskraft der Farbe, um abstrakte Elemente als gleichberechtigte Akteure des Gegenständlichen auftreten zu lassen. So überraschen in informell gestalteten Umgebungen humorvolle, erzählerische Details: fein-fummelig aus Zeitschriften für Freunde der Modelleisenbahn abgemalte Architektürchen erklären einerseits ihren Bildkontext zur Natur", andrerseits sorgen sie für die comic relief, sinngemäß: das befreiendes Gelächter, das wiederum den gänzlich künstlichen Charakter, das Bühnenhafte des Bildes betont.

Das Dramatische ist also da, wirkt aber vor allem als Gefährdung, als Desorientierung nach. Man weiß nicht, ob es Tag oder Nacht ist in Ina Bierstedts Szenarien, die Farbigkeit ist zwar reich differenziert, aber eher trübe, eher bitter. Die relativ kleinen Bildformate und der Verzicht auf extremes Hell-Dunkel lässt kein Pathos aufkommen Obwohl gerade die neuesten Arbeiten sehr rhythmisch sind, die Landschaften von Beben erschüttert scheinen, bleiben die Bilder letztlich leise. In Ina Bierstedts Malerei bleibt das Prozesshafte der Bildfindung immer präsent. Jenseits von linearen Erzählstrukturen berichten übereinandergelagerte Schichten und Geflechte von den Dimensionen der Zeit. Ina Bierstedts Bilder funktionieren wie besondere Bühnen, es wird parallel in den Vorder- und Hintergründen gespielt. Und dennoch: was hier gleichzeitig stattfindet, muss sich nach den Gesetzen des Malens doch immer kausal bedingen. Diese Aura des Ungewissen verleiht Ina Bierstedts Bildern eine eigene, tief berührende Intensität.

Bettina Carl

Bettina Carl arbeitet als Künstlerin, Kuratorin, Autorin und Dozentin in Zürich und Berlin

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